Power Posing gegen Lampenfieber?

Können Machtgesten deine Redeangst verringern und dich selbstbewusster machen?

Je näher die Rede kommt, desto nervöser werde ich. Im Bauch ein flaues Gefühl, der Schweiß zwischen den Fingern glänzt. Mein Mund ist trocken, deshalb trinke ich schnell noch ein Glas Wasser. Dann geht es los…
So fühle ich mich vor jedem Vortrag, bei dem es um was geht. Wie würde ich mir wünschen, vor Beginn einer Rede selbstbewusster zu sein. Doch wie soll das gehen? Der TED Talk der amerikanischen Professorin Amy Cuddy liefert eine Antwort. Sie lautet: Power Posing.

Was ist Power Posing?

Amy Cuddy während ihres Auftritts bei TED Talks

Cuddy behauptet, dass wir unseren Hormonhaushalt durch Gesten direkt beeinflussen können. Das soll uns helfen, Drucksituationen wie Bewerbungsgespräche oder Vorträge zu meistern. Wenn wir uns für ein paar Minuten in typische Machtgesten begeben, reduziert sich laut Cuddy die Menge des „Stresshormons“ Kortisol, während der Testosteron-Spiegel relativ dazu ansteigt. Testosteron wird mit dominanten Verhaltensweisen und Risikofreude in Verbindung gebracht. Deshalb nennt Cuddy ihr Konzept Power Posing.

Wie kannst du als Redner davon profitieren?

Führe vor deinem Auftritt einige Machtgesten aus, damit sich deine Selbstsicherheit steigert und deine Ausstrahlung verbessert. Ich ziehe mich dafür meistens an einen Ort zurück, wo mich niemand beobachten kann. Rate mal, welcher das meistens ist…
Ich beende meine Gesten, wenn ich das Gefühl habe, dass sich mein emotionaler Zustand gebessert hat.
Wenn du dich nicht zurückziehen kannst, empfehle ich dir, kurz vor deinem Auftritt bewusst auf deine Körpersprache zu achten. Stehe aufrecht und winkele deine Arme an, sodass du viel Raum einnimmst Mädchen winkelt ihre Arme an.(siehe Bild). Auch wenn du vor deiner Rede sitzt, kannst du deine Körperhaltung optimieren. Mache dich, soweit möglich, richtig breit, strecke die Arme aus und nehme viel Raum ein. Gehe mit langen, selbstbewussten Schritten auf die Bühne zu, sobald dein Auftritt ansteht. Und lächele – es ist erwiesen, dass selbst aufgesetztes Lächeln den Gemütszustand verbessert. Achte während der Rede darauf, dass du einen festen Stand mit ausreichend Abstand zwischen den Füßen hast. Schaue dir hier verschiedene Power Poses an.

Ist wissenschaftlich erwiesen, dass Power Posing funktioniert?

Das Konzept beruht auf einer Studie, die von Amy Cuddy (Harvard Business School) und zwei weiteren Professoren durchgeführt wurde.

Das Experiment, das dem Studienergebnis zugrunde liegt, verlief so:

  • Die Versuchsteilnehmer wurden gebeten, eine Speichelprobe abzugeben, um
    ihr Kortisol- und Testosteronlevel vor Beginn des Versuchs zu messen.
  • Anschließend sollten sie für zwei Minuten entweder Machtgesten oder unterwürfige Gesten durchführen.
  • Danach konnten die Probanden ein Glücksspiel durchführen, wenn sie wollten.
  • Schließlich gaben alle Teilnehmer erneut eine Speichelprobe ab, um das Kortisol- und Testosteronlevel am Ende des Experiments mit dem Anfangswert zu vergleichen.

Die Auswertung der Speichelproben ergab, dass diejenigen Probanden, die Machtgesten durchgeführt hatten, einen Testosteron-Anstieg von 20% aufwiesen, während ihr Kortisol-Pegel um 25% abnahm.
Bei der Kontrollgruppe, die sich in unterwürfige Gesten begeben hatte, sank der Testosteron-Spiegel um 10% bei einem Kortisol-Anstieg von 15%.
Unter den „Power Posern“ waren außerdem 86% bereit, sich auf ein Glücksspiel einzulassen, während dies bei der anderen Gruppe bei nur 60% zutraf.
Kurzum: Cuddys Team hatte wissenschaftlich nachgewiesen, dass wir mit Gesten unsere Hormonausschüttung und damit unsere Risikofreude beeinflussen können.

Mittlerweile gibt es jedoch Zweifel, ob Power Posing wirklich funktioniert.

Eine 2014 an der Universität Zürich durchgeführte Untersuchung, welche die Ergebnisse der Cuddy-Studie reproduzieren wollte, konnte nur eine Änderung des subjektiven Machtempfindens feststellen, nicht jedoch des Hormonhaushalts. Cuddy und ihr Team wiesen auf methodische Schwächen dieser Studie hin. Kulturelle Unterschiede zwischen der Schweiz und den USA könnten ebenfalls eine Rolle gespielt haben.
Im August 2015 kamen zwei Statistikexperten der Wharton School zu dem Schluss, dass wissenschaftlich nicht erwiesen sei, ob Power Posing wirkt. Sie hatten alle zu dem Thema verfügbaren Studien statistisch ausgewertet. Es ist allerdings fraglich, ob die über dreißig überprüften Studien methodisch mit der Cuddy-Studie vergleichbar sind. Wirkt Power Posing oder nicht? Aus wissenschaftlicher Sicht ist das noch nicht geklärt.

Was ich von Power Posing halte

Ich bin davon überzeugt, dass sich unsere Körpersprache unmittelbar auf unser Empfinden auswirkt. Auch, wenn dies durch Messung des Hormonhaushalts nicht nachweisbar ist. Wenn ich ein Vertriebstelefonat führe und mich dabei bücke und klein mache, habe ich weniger Überzeugungskraft, als wenn ich aufrecht stehe. Wenn ich bei einem Bewerbungsgespräch mit gesenkten Schultern und geschlossenen Armen sitze, wird es mir schwerfallen, den Personaler von meinen Qualitäten zu überzeugen. Ich versuche mir anzugewöhnen, vor Moderationen oder Reden ein paar Machtgesten auszuführen. Noch fällt es mir schwer, vor jedem Auftritt daran zu denken. Ob Power Posing bei mir wirkt? Genau kann ich es nicht beurteilen. Jedenfalls sind mir alle Reden, die ich danach gehalten habe, gut gelungen.

Kann man mit Power Posing Lampenfieber bekämpfen?

In meinem Beitrag über Redeangst habe ich geschrieben, dass wir Lampenfieber nicht besiegen können und müssen. Wir können es nur akzeptieren und lernen, damit umzugehen. Ich bezweifele, dass Power Posing Lampenfieber deutlich reduzieren kann. Das soll es auch gar nicht – wir sollen uns selbstbewusster fühlen, nachdem wir uns in Machtgesten begeben haben. Können wir Redeangst haben und uns gleichzeitig selbstsicher fühlen? Ich meine ja. Ich kann vor einer Rede nervös sein und trotzdem denken, dass ich sie mit Bravour meistern werde. Oder ich kann denken, dass ich die Rede in den Sand setze. Die ersten Gedanken sind selbstsicher, die zweiten zeugen von geringer Selbstsicherheit.
Power Posing ist kein Wundermittel gegen Lampenfieber. Doch vielleicht kann es uns den nötigen Schub geben, um eine herausfordernde Rede zu meistern.

Zusammengefasst

  • „Power Posing“ beschreibt den bewussten Einsatz von Gesten, um den Hormonhaushalt zum eigenen Vorteil zu verändern; dadurch sollen sich Menschen in Drucksituationen selbstsicherer fühlen und eine bessere Ausstrahlung haben.
  • Der Schlüssel sind „Machtgesten“, mit denen man viel Raum einnimmt; ein paar Minuten reichen, um emotionale Veränderungen zu spüren. Die Gesten sollten kurz vor einer Rede ausgeführt werden.
  • Das Stresshormon Kortisol soll sich durch die Ausführung von Machtgesten relativ zum Testosteron-Level reduzieren. Ein Wissenschaftler-Team um Harvard Professorin Amy Cuddy konnte dies in einer Studie nachweisen.
  • Ob Power Posing funktioniert, ist wissenschaftlich umstritten.

 

Was können Redner von Cuddys Auftritt bei TED Talks lernen? Eine Kurzanalyse.

Klar, der Vortrag von Amy Cuddy ist für alle Menschen interessant, die sich in soziale Drucksituationen begeben müssen. Und das müssen wir alle hin und wieder. Doch die inhaltliche Relevanz erklärt nicht, warum ihr TED Talk dermaßen erfolgreich ist: Stand Oktober 2015 wurde der Vortrag auf der TED Talks Webseite fast 30 Millionen Mal angeschaut. Er gehört damit zu den meistgeklickten Videos im gesamten TED Talk Programm.

Amy Cuddy macht bei ihrem TED Talk verdammt viel richtig. Hier einige Beobachtungen:

  • Sie bezieht zum Einstieg das Publikum ein, indem sie es bittet, auf die eigene Haltung zu achten. Sie kündigt an, den Grund dafür später aufzulösen und betont das lebensverändernde Potenzial der Erkenntnisse. Durch diesen Einstieg baut Cuddy Spannung auf und fesselt das Publikum von Anfang an.
  • Ihre Präsentation ist sparsam gehalten; sie zeigt Fotos und nur wenig Text; dadurch besteht keine Gefahr, dass sich die Zuhörer im Lesen verlieren und sie als Rednerin nicht mehr wahrnehmen.
  • Ihr Vortrag ist vor allem deshalb großartig, weil sie ihre wissenschaftlichen Erkenntnisse mit ihrem eigenen Schicksal verknüpft. Als sie darüber spricht, wie sie selber eine Zeit mit niedrigem Selbstbewusstsein durchmachen musste und sich als intellektuelle Hochstaplerin fühlte, spürt jeder im Publikum, wie sie mit Ihren Emotionen ringt. In diesem Augenblick ist es fast unmöglich, von ihrer Rede nicht berührt zu sein. Die letzten fünf Minuten ihrer Rede sind die stärksten und erklären, warum sich ihr Auftritt einer solch überwältigenden Popularität erfreut.

Insgesamt zeigt Cuddys Vortrag, dass es möglich ist, Fachvorträge zu halten, die das Publikum fesseln. Damit dies gelingt, sollte das Redethema mit persönlichen Erfahrungen verknüpft werden.
Davon können insbesondere deutsche Redner profitieren, die häufig dazu neigen, sich in Zahlen und Fakten zu verlieren. Zuhörer wollen emotional angesprochen werden!

Willst du dir selbst ein Bild von Cuddys Vortrag machen? Du kannst ihn dir hier anschauen. Es lohnt sich!

Deutsche Untertitel kannst du einstellen, indem du nach Start des Videos auf Einstellungen klickst (unten: drittes Symbol von rechts).


Links:


Studie zu Power Posing von Amy Cuddy etc. (kostenpflichtig, abgerufen am 20.10.2015).
Studie der Uni Zürich (abgerufen am 20.10.2015).
Statistiken zur Effektivität von Power Posing (Wharton School, abgerufen am 20.10.2015).


Fotos:


Fotograf Bild 1 (Titel): JD Hancock, https://www.flickr.com/photos/jdhancock/; Foto lizenziert unter der Lizenz Namensnennung 3.0; https://creativecommons.org/licenses/by/3.0/de/
Fotograf Bild 2 (rechts): Thatcher Cook, http://www.thatchercook.com/, Foto lizenziert unter der Lizenz Namensnennung 3.0; https://creativecommons.org/licenses/by/3.0/de/
Fotograf Bild 3 (rechts): Juhan Sonin,  https://www.flickr.com/photos/juhansonin/Foto lizenziert unter der Lizenz Namensnennung 3.0;

5 Gedanken zu „Power Posing gegen Lampenfieber?

  1. Hi Alex,
    ich bin auf Deine Seite gestoßen, da sich unsere Interessen bzgl. Vorträgen, Reden und Präsentationen sehr ähneln. Ich finde viele Artikel von Dir echt sehr gut, gerade auch weil sie ausführlich sind und Du sie auf theoretisch fundierter Basis mit Quellenangaben schreibst (was auch mein Ziel ist…).

    Gerade diesen Artikel hier finde ich aufgrund Deiner letzten Anmerkung zu Cuddys TED Talk an sich sehr wertvoll. Denn genau das macht für mich auch den Wert ihres Vortrags aus: Es ist ein richtig tolles Beispiel für einen sehr guten wissenschaftlichen (!) Vortrag. Cuddy bringt eben nicht nur Fakten, sondern schafft es, diese auch richtig ansprechend rüberzubringen! Infotainment in seiner positiven Form. Das hast Du auch super rausgearbeitet! 🙂

    Der Inhalt von Cuddy ist so naja. Überzeugt bin ich von PowerPosing vor dem Vortrag nicht. Viel wichtiger und aus meiner Sicht hilfreicher finde ich, während des Vortrags auf eine offene, posivie und „power-ausstrahlende“ Körperhaltung zu achten (hast Du oben ja auch schon geschrieben).

    Liebe Grüße und mach weiter so, Rhetorikpirat!
    Nic

    1. Hallo Nic,

      ich freue mich über dein Kommentar!
      Ich habe mir schon kurz dein Blog angeschaut und stimme zu, dass wir ähnliche Interessen haben. Auch das Design deines Blogs gefällt mir sehr gut.
      Ich werde mich bei dir noch genauer einlesen.

      LG
      Alex

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