Reden lernen: Was wir von Rhetorikern der Antike lernen können

Historiker bezeichnen das alte Griechenland oftmals als Wiege unserer Zivilisation. Und tatsächlich: Bis heute prägen die großen griechischen Philosophen unser Denken und unser Tun, ohne dass wir es merken. Gleichzeitig scheint mir, dass die Überzeugungen der griechischen Gelehrten immer mehr in unserem Bewusstsein verblassen.
 
Wer kann das Wirken von Aristoteles, Platon und Sokrates einordnen und beschreiben? In der jüngeren Generation sind es möglicherweise nur noch Studenten der Philosophie oder außergewöhnlich belesene Menschen. Auch ich gehörte zu denen, die jahrelang mit einer gewissen Ignoranz auf die alten Philosophen herabblickte. Was soll ich von Menschen lernen, die vor tausenden Jahren verstorben sind? Da greife ich doch lieber zu den Biografien von Steve Jobs und Elon Musk.
 
Das änderte sich, als ich auf Empfehlung des Autors Ryan Holiday das Buch „Selbstbetrachtungen“ vom römischen Gelehrten Marcus Aurelius in die Hand nahm. Die Schönheit, der Tiefgang und die Aktualität seiner Worte beeindruckten mich schwer.
 
Sie inspirierten mich zu diesem Beitrag, in dem ich einige der einflussreichsten Philosophen und Rhetoriker vorstelle und aufzeige, was wir von ihnen lernen können.

Dieser Blogpost ist „work in progress“ – ich werde ihn kontinuierlich erweitern.

Demosthenes – mit Beharrlichkeit und Entschlossenheit die eigenen Grenzen überwinden

Eine schwierige Ausgangslage

Es hätte wohl niemand darauf gesetzt, dass der junge Demosthenes (384 – 322 v. Chr.) als einer der größten Rhetoriker und Staatsmänner des antiken Griechenlands in die Geschichte eingehen würde.
 
Sein Vater starb früh, er war körperlich labil und hatte eine Sprachstörung. Zu allem Überfluss veruntreuten die Männer, die nach dem Tod des Vaters auf ihn aufpassen sollten, sein Erbe. Demostehens hatte als junger Mann also gleich mehrfach den schwarzen Peter in die Hand gedrückt bekommen. Nichts davon war selbstverschuldet, das Schicksal meinte es einfach nicht gut mit ihm – so könnte man jedenfalls meinen.

Lektion 1: Schmerz in Antrieb verwandeln

Demosthenes ist ein Beispiel dafür, dass in jeder noch so schwierigen Situation eine Chance innewohnt. Er wollte sich mit der Veruntreuung seines Erbes nicht abfinden und war bestrebt, von den Männern, die ihm das angetan hatten, Wiedergutmachung einzufordern. Doch wie soll ein junger Mann, der noch nicht einmal richtig sprechen kann, das anstellen? Er beschloss, an sich und seiner Situation zu arbeiten.
 
Als erstes dachte er sich ungewöhnliche Methoden aus, um seine Sprachstörung zu überwinden: Er stopfte sich Kieselsteine in den Mund und übte, zu sprechen. Er hielt ganze Reden, während er Hügel hoch rannte oder sich einem starken Gegenwind aussetzte.
 
Er bildete sich mit einer Strebsamkeit und Ausdauer weiter, die Marathonläufer wie Spaziergänger aussehen lässt: Er baute sich einen kleinen, unterirdischen Raum und studierte tagein und tagaus, bis das Wissen der großen Philosophen in sein Blut überging. Er ging sogar soweit, sich die Haare abzurasieren, damit er vor Scham nicht in die Versuchung geraten würde, sich in der Öffentlichkeit blicken zu lassen. Kurzum: Er verfolgte seine Ziele mit hundertprozentiger Hingabe.
 
Als er sich bereit fühlte, ging er gerichtlich gegen die Männer vor, die sein Erbe hergeschenkt hatten. Er hielt vor Gericht mehrere Reden, die von einer derartigen Brillanz waren, dass die Anwälte seiner Gegner wie Statisten aussahen. Er errang mit seiner Rhetorik einen haushohen Sieg. Zwar konnte er das verlorene Erbe nicht in Gänze zurückbekommen, doch der Sieg weckte in ihm den unbändigen Ehrgeiz, der größte Redner Athens zu werden.
 
Am Ende wurde er nicht nur einer der größten Rhetoriker, er stieg auch noch zum führenden Staatsmann der Stadt auf.

Lektion 2: Sich auf Stärken konzentrieren

Wurde Demosthenes durch sein intensives Training zum rundum perfekten Redner? Mitnichten. Seine Sprachstörung holte ihn immer dann ein, wenn er unvorbereitete Reden hielt. Deshalb konzentrierte er sich auf seine Stärke: vorbereitete Reden. Er baute diese Fertigkeit so aus, dass er als Redenschreiber gutes Geld verdienen konnte.

Fazit

Die Geschichte von Demosthenes zeigt uns, dass wir das Unglück, das uns widerfährt, als Treibstoff für Veränderung nutzen können. Wir können Hürden in etwas Positives und Produktives verwandeln.

Sokrates – wissen, das man nichts weiß

Sokrates ist allein deshalb eine Ausnahmeerscheinung unter den griechischen Gelehrten, weil er keine Schriften hinterließ. Wie kann es sein, dass er dennoch einen solch großen Einfluss auf die Philosophie hatte?
„Schuld“ sind seine Schüler, Platon und Xenophon, die das Wirken von Sokrates umfassend dokumentierten. Platon hat ganze vier Dialoge über den Tod von Sokrates geschrieben. Natürlich sind solche Sekundärquellen auch immer mit einer gewissen Unsicherheit behaftet. Wer weiß schon, ob Platons Schilderungen alle akkurat sind?

1. Lektion: Wissen, dass man nichts weiß

Heute wird Sokrates mit dem Ausspruch „Ich weiß, dass ich nichts weiß“ in Verbindung gebracht, wobei dieses Zitat wahrscheinlich sehr verkürzt ist.
 
Sokrates war dafür bekannt, dass er den Sachen auf den Grund gehen wollte und keine Halbwahrheiten akzeptierte. Seine Schüler berichteten, teils bewundernd, teils erzürnt, dass Sokrates, der Lehrer, wie ein Schüler auftrat und immerzu Fragen stellte. Er versetzte seine Gesprächspartner in die Position des Wissenden, zeigte ihnen aber gleichzeitig die Begrenzungen ihrer Kenntnis auf. Ambitionierte Nachwuchspolitiker prüfte Sokrates mittels seiner berühmten Frage-Methodik gerne, um ihnen zu verdeutlichen, wie weit sie noch davon entfernt waren, die Belange der Polis kompetent vertreten zu können. Er war tief davon überzeugt, dass richtiges Handeln aus den richtigen Einsichten erfolgt.
 
Seine Einstellung glich also dem modernen Coaching-Ansatz: Menschen sollten nicht belehrt werden sondern durch Fragen dazu gebracht werden, selbst Erkenntnisse zu gewinnen. Dieser Ansatz wird in der Philosophie als Maieutik bezeichnet.

Lektion 2: Die eigenen Überzeugungen als Richtschnur des Handelns

Das Leben von Sokrates nahm ein tragisches Ende: Er wurde wegen Gottlosigkeit und Jugendverführung zum Tode durch einen giftigen Trank verurteilt. Wahrscheinlich sahen die Herrschenden den aufgeweckten und alles hinterfragenden Geist des Sokrates zunehmend als Gefahr an.
 
Dass er sich diesem harten Urteil hingab, sagt viel über seine Haltung aus. Er hätte der Todesstrafe wahrscheinlich entgehen können, wenn er sich offiziell dazu bereit erklärt hätte, das öffentliche Philosophieren ein für allemal sein zu lassen. Doch Sokrates tat nie irgendetwas, das er nach sorgfältiger Prüfung als ungerecht einstufte und lehnte ab. Dass er um jeden Preis für das Gerechte eintrat, hatte er bereits in jüngeren Jahren gezeigt, als er sich dem Befehl des Herrschers verweigerte, einen unschuldigen politischen Gegner zu verhaften.
 
Auch eine Flucht aus der Gefangenschaft, die ihm seine Anhänger nahelegten, konnte er mit seinen Überzeugungen nicht vereinbaren. Er wusste, dass er mit einer Flucht das Gesetz brechen würde und dadurch künftige Urteile ihre Kraft verlieren würden. „Wer nicht gehorcht, tut Unrecht“, war seine Meinung.
Er betrachtete den Respekt vor dem Gesetzt als höheres Gut als das eigene Leben.
 
Die Geschichte seines Todes zeigt, dass Sokrates der vielleicht erste Philosoph war, der seine philosophischen Einsichten in seinem Leben rigoros anwendete.
 
Dazu gehörten:

  • Gerechtigkeit ist Grundbedingung für einen guten Zustand der Seele
  • Unrecht tun ist schlimmer als Unrecht erleiden
  • Richtiges Handeln erfolgt aus der richtigen Einsicht

Essenz: Das Gute als Handlungsrichtschnur und das Ringen um Selbsterkenntnis sind wesentliche Voraussetzungen eines gelingenden Daseins.
 
Sokrates war jemand, der stets nach wahrer Erkenntnis strebte und unter den schwierigsten Umständen moralische Integrität bewies. Das Orakel von Delphie beschrieb Sokrates als den weisesten Menschen, gerade weil er die Begrenzung des eigenen Wissens erkannte.
 
 
Über welchen anderen berühmten Rhetoriker würdest Du gerne eine ähnlichen Beitrag lesen? Fühle dich eingeladen, mir eine Info als Kommentar zu hinterlassen.

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