Mädchen hört einem Jungen zu.

Warum hören wir Menschen zu?

Spitzenköche brauchen vor allem eine Fähigkeit – Kreativität. Sie kombinieren Zutaten auf neue Weise und präsentieren bekannte Gerichte in völlig neuen Variationen. Ein Koch wirbelt durch die Küche und ist ständig in Aktion.
 
Anders Sensoriker. Diese setzten ihren hochsensiblen Geruchs- und Geschmackssinn ein, um Lebensmittel nach ihrer Qualität zu beurteilen. Ich stelle mir Sensoriker eher passiv und beobachtend vor. Sie konzentrieren sich ganz auf ihre Sinne und lassen diese für sich arbeiten.
 
Die messerscharfen Sinne eines Sensorikers sind nur wenigen Menschen in die Wiege gelegt. Deshalb könnten nur die wenigsten Spitzenköche als Sensoriker arbeiten. Umgekehrt würde wohl kaum ein Sensoriker Gefallen daran finden, zwölf Stunden am Stück in einer Küche zu stehen und Pfannen zu schwenken.
 

Man ist Sensoriker – oder man ist Spitzenkoch.

 
In der Kommunikation ist es ähnlich. Manche Menschen sind „Labertaschen“. Sie können Geschichten erzählen, die uns buchstäblich vom Hocker hauen. Ihr Mund ist ständig in Bewegung und produziert einen Redeschwall nach dem anderen.
 
Andere sind die geborenen Zuhörer. Sie haben die Fähigkeit, einem das Gefühl zu geben, die einzige Person in ihrem Kosmos zu sein.
 
Wie viele Menschen hast du schon getroffen, die beide Eigenschaften in sich vereinen?

Wer spricht, gewinnt.

Wenn Menschen ihre kommunikativen Fähigkeiten verbessern wollen, denken sie zumeist ans Sprechen. Sie träumen davon, packende Reden zu halten und in Diskussionen die Oberhand zu gewinnen.
 
Zuhören ist demgegenüber wenig anziehend. Wir verbinden es mit Passivität und vielleicht sogar Unterwürfigkeit. Wie kann ich einen Streit gewinnen, wenn ich nicht in die Offensive gehe? Wie kann ich Menschen begeistern, wenn ich keine begeisternden Geschichten erzähle?
 
Während es unzählige Trainer gibt, die Rhetorik-Seminare anbieten, habe ich noch nie von einem „Zuhören-Trainer“ oder „Zuhören-Seminar“ gehört.

Zuhören ist Trumpf.

Allerdings raten uns sogenannte Kommunikationsexperten wie Dale Carnegie, in Gesprächen mehr zuzuhören. Das Motto lautet: Hört zu, werdet beliebter!
 
Angeblich wirken wir nicht nur sympathischer, sondern auch intelligenter, wenn wir mehr zuhören als sprechen. Kein Wunder: Der Mensch hat im Durchschnitt 85 Prozent seines Wissens durch Zuhören erworben. Wer zuhört, wird schlau!
 
So langsam wird klar – Zuhören ist besser als sein Ruf. Bedeutet dies, dass wir uns künftig auf das Zuhören konzentrieren sollten? Das kommt auf unsere Motivation an.

Warum hören wir zu?

Idealerweise hören wir zu, weil uns etwas interessiert oder unterhält. Häufig verbergen sich hinter unserem Lauschen jedoch andere Treiber. Und diese sind fragwürdig.

Zuhören, um beliebt zu werden.

Dale Carnegie schreibt in seinem Klassiker Wie man Freunde gewinnt, dass Zuhören der beste Weg ist, um die Sympathie eines Gesprächspartners zu gewinnen. Und tatsächlich: Eine Umfrage des Allensbach Marktforschungsinstituts fand heraus, dass Zuhören bei 80 Prozent der Befragten zu einem guten Gespräch gehört. Nur Vertrauen wurde noch höher eingeschätzt. Wenn wir uns im Umgang mit anderen Menschen gut verkaufen wollen, sollten wir zuhören.
 
Doch was ist Zuhören wert, wenn es nur der Absicht dient, beim Gesprächspartner einen guten Eindruck zu hinterlassen? Ist diese Form des Umgangs ehrlich?

Zuhören, um höflich zu sein.

Ein Beispiel aus meinem Leben: Nach einer abendlichen Veranstaltung treffe ich an der Bar einen Bekannten. Wir unterhalten uns. Oder besser gesagt: Er unterhält mich. Ohne Punkt und Komma. Und ohne mich am Gespräch zu beteiligen. Ich höre höflich zu, und hoffe, dass die große Wortflut endlich abebbt. Meine innere Stimme traktiert mich mit der Frage „Wann ist es endlich vorbei?“ Ein Vorwand ermöglicht mir schließlich die Flucht.
 
Sollten wir anderen Menschen aus Rücksichtnahme oder Harmoniebedürftigkeit zuhören, auch wenn uns das Gesagte nicht interessiert? Oder sollten wir den Gesprächsfaden viel früher abschneiden?

Zuhören, um andere zu verstehen.

Stephen R. Covey ermuntert uns in Die sieben Wege zur Effektivität, mitfühlendes Zuhören – auch aktives Zuhören genannt – zu lernen. Dabei geben wir die Aussagen unseres Gesprächspartners immer wieder in eigenen Worten wieder. Möglichst nach jedem Satz.
 
Covey schreibt, dass wir durch diese Methode unser Gegenüber auf einer tieferen Ebene verstehen können. Er beschreibt in seinem Buch, wie er die Schulprobleme seines Sohnes durch diese Technik nach und nach ans Licht bringt.
 
Jeder Mensch sehnt sich danach, richtig verstanden zu werden. Doch möchte er immer, dass die gesamte Wahrheit auf den Tisch kommt? Wo fängt bei dieser Art der Gesprächsführung Manipulation an?

Zuhören, um zu verkaufen.

Wer zuhören kann, verkauft mehr. Da sind sich alle großen Verkaufstrainer einig. Eine Studie unter amerikanischen Optikern hat ergeben, dass diejenigen Brillenverkäufer am erfolgreichsten sind, die am meisten nachfragen. Nachzulesen in meinem Beitrag Rhetorik für Verkäufer.
 
Diese Erkenntnis widerspricht dem stereotypen Bild des gesprächigen Verkäufers. Sie ist aber logisch: Nur durch Fragen kann der Verkäufer erkennen, was die Wünsche und Bedürfnisse des Kunden sind. Und ihm ein Angebot unterbreiten, das ihn wirklich interessiert.

Zuhören, weil wir nicht anders können.

Die oben genannten Beispiele haben eines gemeinsam – wir können jeweils entscheiden, nicht zuzuhören. Doch es gibt Situationen, wo wir uns dem Gesagten einfach nicht entziehen können, obwohl wir es gerne würden. Kopfhörer tragen oder Ohrenzuhalten mal ausgenommen.
 
Zum Beispiel, wenn wir uns als Vielflieger zum x-ten Mal die Sicherheitshinweise vor dem Abflug anhören müssen. Oder, wenn wir im Zug neben einer Person sitzen, die laut telefoniert. Mitarbeiter-Durchsagen im Supermarkt gehören ebenfalls in die Kategorie „unnütze Informationen“.
 
Um ungewolltes Zuhören gänzlich zu vermeiden, müssten wir wohl in einer Hütte im Wald leben und jeglichen Außenkontakt vermeiden. Wenn da nicht die Vögel wären …
 
Sollten wir nun zuhören oder nicht? Das kann jeder nur für sich selbst entscheiden. In einem Folgebeitrag stelle ich Tipps für gutes Zuhören vor.

2 Gedanken zu „Warum hören wir Menschen zu?

  1. Hallo Alex,

    dein Beitrag hat mich sehr zum Nachdenken angeregt.

    Ein Frage wurde durch den Artikel be mir spontan ausgelöst:
    Bin ich ein besserer Mensch, wenn ich entweder gut reden oder wenn ich gut zuhören kann?

    Ich habe unterschiedliche Seiten kennen gelernt.

    Zuhörer, die sich für den anderen interessieren und Zuhörer, die sich nur für die Informationen des anderen interessieren.
    Gefahr dabei: Erstere nehmen den Anderen manchmal nicht ernst und letztere nutzen die Informationen mitunter zu Manipulationszwecken.

    Das ist aus meiner Sicht bei den sogenannten „Labertaschen“ nicht anders.
    Es gibt unbestreitbar die, die am liebsten von SICH erzählen und die, die gerne von ETWAS erzählen. Es gibt auch die, die der ehrlichen Überzeugung sind andereren durch ihr reden zu helfen. Denen gelingt es durch ihre Reden andere zu begeistern und zu motivieren und ihnen damit das Leben zu erleichtern.

    Die für mich interessantere Frage ist jedoch:
    Ist „gut zuhören“ nicht gleichermaßen eine Stärke wie „gut reden“.

    Denn:
    Bin ich ein schlechter Mensch, weil man mich beim Reden stoppen muss?
    Bin ich ein schlechter Mensch, weil man mir jede Information „aus der Nase ziehen“ muss?

    Es gibt aus meiner Sicht hier kein schwarz oder weiß. Es gibt genauso sympathische wie unsympathische Zuhörer, wie es auch sympathische oder unsympathische „Labertaschen“ gibt.

    Ich bin davon überzeugt, dass jeder der beschriebenen Menschen sich für den anderen interessiert. (Ausnahmen gibt es natürlich bei allen)
    Jeder zeigt es nur auf seine Art.
    Daher sollten wir lernen das Positive aus einer Eigenschaft des anderen zu sehen und uns darauf einstellen.

    Ich freue mich über weitere Meinungen.

    Gruß
    Andrej

    1. Hi Andrej,

      es gibt kein schwarz oder weiß – bei diesem Punkt bin ich voll bei dir.

      Ob man besser zuhören oder reden kann, sagt etwas über die Persönlichkeit aus (z. B. Melancholiker vs. Sanguiniker). Aber es sagt nichts darüber aus, ob man ein liebenswürdiger Mensch ist. Wie eine Flamme, kann man Zuhören und Reden für gute oder schlechte Zwecke einsetzen.

      Ob man zuhört oder nicht, hängt aber auch mit der inneren Einstellung zusammen. Wenn ich mich entscheide, mich auf einen anderen Menschen einzulassen, dann höre ich wahrscheinlich gut zu (unabhängig von meinem Persönlichkeitstyp). Man braucht dazu nur einen Gedanken.

      Lieber Gruß
      Alex

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